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Kiss to dismiss

Zuneigung oder Distanzgewinn?

Kiss to dismiss

Ein Hund, der überaus hektisch und vehement, mit "spitzer Zunge", das Gesicht eines ihm gut bekannten anderen Hundes abschleckt, welches Verhalten steckt dahinter?

Oder ein Hund der ebenso hektisch und unentspannt im Wechsel sowohl die Hand wie auch das Gesicht seines Herrchens leckt, der versucht ihm die Nägel zu trimmen, was ist hier die zugrunde liegende Motivation für dieses Verhalten?

Oder ein Hund der die Hand und das Gesicht eines Krabbelkindes leckt, welches ihm gerade seinen Kauknochen weggenommen hat, was mag er für Intentionen haben?

Zeigen diese Hunde wirklich allesamt nur, daß sie den anderen Hund, oder die Menschen, die sie auf diese Art und Weise ablecken, lieben? Sehen wir hier wirklich Zuneigungsbekundungen ... oder versucht der Hund der sich so verhält, eine ganz andere Botschaft zu vermitteln? Und sollten wir ihm nicht lieber aus dieser Situation heraushelfen, statt die Videokamera zu zücken und diese nette Szene zu filmen?



Mundwinkel-Lecken = Beschwichtigung

Erik Ziemen, einer der bekanntesten Experten für Wölfe und ihr Verhalten, bezeichnete das Lecken des Gesichts eines sozialen Partners als "aktive Submission", die häufig beobachtet werden kann, wenn Welpen - egal ob Hund oder Wolf - ihre Eltern nach der Rückkehr zur Wurfkiste bzw. in den Bau - begrüßen.

Auch bei erwachsenen Hunden und Wölfen ist dieses Verhalten durchaus in bestimmten Situationen zu beobachten. In den meisten beobachtbaren Fällen ist das von Hunden gezeigte Mundwinkel-Lecken unter erwachsenen Mitgliedern einer sozialen Gruppe, in der Tat ein Zeichen von Freundlichkeit, Vertrautheit oder Beschwichtigung.



... aber: Ist das wirklich immer so?

Haben wir es wirklich in allen beobachtbaren Situationen, in denen ein Hund z.B. einen Menschen im Gesicht oder den Händen leckt, ausschließlich mit einer Zuneigungs-Bekundung des Hundes zu tun? Auch wenn der Hund dieses Lecken - anders als sonst - gar nicht entspannt, sondern eher hektisch ausführt? Ist das "Mundwinkel-Lecken" auch dann immer eine Bekundung der Zuneigung, wenn der Hund dies in einer für ihn vielleicht unerwünschten, unangenehmen Situation zeigt?

Jennifer Shyrock, BA, CDBC von Family Paws Parent Education hat - zumindest in bestimmten Fällen - eine ganz andere Erklärung für dieses Verhalten herausgefunden:

Kiss to dismiss

Nach ihren Beobachtungen bedeuten bestimmte Arten wie der Hund das Gesicht ableckt, weniger eine Form von Zuneigung, als vielmehr den Wunsch nach Distanz-Gewinnung zwischen dem leckenden Hund und dem der beleckt wird. Sie nennt dieses Lecken "Kiss to Dismiss".

Der leckende Hund versucht durch sein hektisches Belecken des Gegenübers, diesen dazu zu bewegen sich weiter von ihm zu entfernen, oder aufzuhören mit dem was er gerade macht (also z.B. dem Hund die Nägel zu schneiden) und ihn in Ruhe zu lassen.

Mit anderen Worten: Der leckende Hund versucht den anderen mit seinem aufdringlichen Lecken derart zu belästigen, daß dieser entnervt das Weite sucht. Patricia McConnell nennt dieses Verhalten auch "aggressive Submission" (Unterwürfigkeit)



Aber mein Hund liebt unser Baby, deswegen küsst er es immer ...

So oder so ähnlich berichten verzweifelte Eltern, wenn der sonst so liebe Familienhund dann doch irgendwann einmal - "plötzlich und ohne jede Vorwarnung" - zugebissen hat. Der Hund hat das Baby doch sonst immer vorsichtig behandelt und war lieb zu ihm ... und er hat es gerade vor dem Biß doch noch SO liebevoll abgeleckt ... und plötzlich und aus heiterem Himmel, biß er dann einfach zu. Dabei haben die beiden doch so schön miteinander gespielt: Das Kind nahm den Knochen des Hundes, er ließ dies zu, und leckte das Kind ab... Alles wirkte so friedlich ... und dann DAS ... und dabei hat der Hund das Baby doch vorher noch so ausgiebig geküsst ...

Nur: Hat der Hund das Baby wirklich liebevoll geküsst? Oder wollte er vielleicht erreichen, daß das Baby wieder auf Abstand geht? Oder ihm den Knochen wiedergibt? Oder ihn einfach in Ruhe schlafen läßt?

Immer wieder wird Eltern gepredigt, sie sollten Kind-Hund-Interaktionen "monitoren" und notfalls rechtzeitig eingreifen, bevor die Situation eskaliert. Das Problem dabei ist: Viele Beißunfälle - insb. mit kleinen Kindern - passieren, während die Eltern anwesend sind. Wenn nun aber die Eltern nicht wissen, auf welche hundlichen Signale sie achten müssen, hilft allerdings auch die beste Beobachtung der Situation nichts. Denn die Eltern interpretieren - mangels ausreichendem Wissen um das hundliche Verhalten - die von diesem gezeigten körpersprachlichen Signale schlicht und ergreifend falsch - und reagieren deshalb nicht richtig oder zu spät.



Video: Interaktion Kind mit Hund

In dem nachfolgend gezeigten Video läßt sich sehr schön sehen, wie die Eltern das Verhalten des Hundes gründlich misdeuten (keine Angst, dem Baby passiert nichts, der Hund ist wirklich außerordentlich geduldig!!). Bitte schauen Sie sich das Video an und beobachten Sie genau, wie der Hund sich verhält:

Das Baby interagiert mit dem Hund, der einen Knochen hat. Der Hund möchte eigentlich nur seinen Knochen geniessen. Er will in diesem Moment gar nicht mit dem Baby spielen.

Und dann nimmt das Baby den Knochen in die Hand. Der Hund beginnt darauf hin das Baby hektisch und mit schnellen Leckbewegungen zu belecken. Dieses Lecken ist ganz offensichtlich KEINE Zuneigungsbekundung! Der Hund will vielmehr durch das Lecken erreichen, daß er seinen Knochen wiederbekommt ... und ihn in Ruhe geniessen darf!

Der Hund in dem Video ist dabei überaus lieb und extrem geduldig. Nicht jeder Hund hat eine derartige Engelsgeduld mit einem kleinkindlichen Störenfried.

Achten Sie bitte auch darauf, wie die Eltern reagieren: Sie schimpfen den Hund, weil er das Baby übermäßig ableckt, und gebieten ihm mehrfach "aus" zu lassen. Genau genommen, lassen Sie den Hund hier im Stich, statt ihn zu untersützen... Besser und richtiger wäre es, wenn die Eltern hier dem Kleinkind den Knochen weggenommen und ihm dem Hund gegeben hätten, um sich dann selbst mit dem Kind noch etwas zu beschäftigen. So hätte der Hund das gehabt was er die ganze Zeit wollte (seine Ruhe und seinen Knochen), und die potentiell gefährliche Situation für das Kind wäre durch die Eltern beseitigt worden.

Das hektische Belecken des Kindes, das der Hund im Video zeigt, ist ein typischer Fall eines "Kiss to Dismiss", oder auf deutsch gesagt, es ist eine - noch!! - sehr freundliche, aber dennoch recht deutliche Warnung in Richtung des kindlichen "Störenfrieds", die der Hund in dem Video ausspricht!



Wo kann man das Lesen und Verstehen der hundlichen Körpersprache lernen?

In einer guten Hundeschule!

Wir machen in all unseren Erziehungs- und Mantrail-Kursen die Teilnehmer auch auf alltägliche körpersprachliche Signale ihrer Hunde in den verschiedensten Situationen aufmerksam. Dies hilft den Menschen, ihre Hunde und deren Bedürfnisse besser verstehen zu lernen, und rechtzeitig - also bevor etwas passiert - kompetent reagieren zu können.



2016, www.teckel-on-tour.de