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Positives Training vs. Ablenkung

Positives Training hilft aber nicht, wenn mein Hund auf andere aggressiv reagiert. Er interessiet sich dann gar nicht für Leckerchen! Alles Quatsch ... das funktioniert einfach nicht!

Mythos: Positives Training ist letztlich nur "Ablenkung mit Leckerchen", wenn ein anderer Hund auftaucht.

Ablenkung mit Leckerchen funktioniert nicht

Haben Sie auch schonmal versucht, Ihren Hund mit Leckerchen abzulenken, wenn er einen anderen Hund (oder ein Fahrrad, Auto, Jogger, usw.) herankommen sieht? Hat er dann sowohl Sie als auch Ihr Leckerchen komplett ignoriert? Das ist allerdings nicht weiter verwunderlich... und hier erfahren Sie jetzt, warum das so nicht funktionieren kann...



Stress!

Wenn ein Tier (uns Menschen eingeschlossen) eine (vermeindliche oder tatsächliche) Gefahr wahrnimmt, passieren in unserem Gehirn einige Dinge, die das bewußte Denken komplett ausschalten! Nimmt unser Gehirn also eine "Gefahr" wahr, wird die komplette Kontrolle über den Körper automatisch an das Limbische System, und hier direkt an die Amygdala, weitergegeben. Dort wird in Bruchteilen von Sekunden darüber entschieden, wie wir - oder eben unser Hund - reagieren werden.

Als mögliche Optionen gibt es - weil diese Entscheidung schnell gefällt werden muß, nur 4 Optionen, von denen zwei "Kampf" (= Aggression) oder "Flucht" (Vermeidung) sind. Unmittelbar im Anschluß an die gewählte Option beginnen sich unsere Pupillen zu weiten, die Atmung wird schneller und effektiver, der Herzschlag steigt an, um mehr Blut durch den Körper zu pumpen, und - ganz wichtig - alles was zur Nahrungsaufnahme gehört, wird heruntergefahren! Selbst wenn wir vor dem Wahrnehmen der Gefahr noch einen Bärenhunger gehabt haben, ist dieser urplötzlich wie weggeblasen. Genauso geht es auch unserem Hund, wenn er eine "Gefahr", wie z.B. einen sich nähernden Artgenossen wahrnimmt.


Warum ist das so? Und können wir was dagegen tun?

Warum das so ist, ist einfach erklärt:

Wenn Sie z.B. im Wald plötzlich von einem Bären angegriffen würden, oder von einer giftigen Schlange überrascht werden, dann braucht Ihr Körper in DIESEM Moment KEINE Nahrung! Er muß einfach nur schnell und wendig reagieren. Nahrung wird erst nach Überwindung der Gefahr wieder wichtig. Im Augenblick der Gefahr ist Nahrung aber irrelevant, denn sie würde Ihnen in einem Moment, in dem es nur noch ums blanke Überleben geht, nichts nützen!


Können wir etwas gegen diesen Mechanismus im Gehirn tun?

Nein. Es ist ein uralter, überlebenswichtiger Mechanismus, der sowohl in unseren Hunden wie auch in uns selbst bis heute aktiv ist. Und im Angesicht einer lebensbedrohlichen Lage ist dieser Mechanismus bis heute unsere einzige wirkliche "Lebensversicherung", die im Zweifel hilft - und das in sekundenbruchteilen!

Der große Charles Darwin, belegte in einem Selbstversuch eindrucksvoll, daß der Instinkt und die emotionale Reaktion dem Verstand überlegen sind (obwohl er mit diesem Test eigentlich das genaue Gegenteil beweisen wollte...). In diesem Test legte er sein Gesicht an den Glaskäfig einer lebensgefährlichen Puffotter. Während er auf den Angriff der Schlange wartete, sagte er sich, daß er sich in keiner ernstzunehmenden Gefahr befinden würde, weil die Schlange ja in einem Glaskasten sitzt. Er war also fest entschlossen, sein Gesicht nicht von der Glaswand zurückzuziehen...

"Sobald der Angriff erfolgte, löste sich mein Entschluss in Nichts auf und mit einer ganz erstaunlichen Geschwindigkeit sprang ich ein oder zwei Meter zurück" erzählte Darwin. "Mein Wille und meine Vernunft waren gegenüber der eingebildeten Gefahr, die keinen Augenblick bestanden hatte, machtlos."

Quelle des Zitats


Was hat das jetzt mit meinem Hund zu tun, der ausrastet, wenn er den Nachbarhund trifft?

Es ist unerheblich, ob die Reaktivität Ihres Hundes durch Angst, Furcht, Frustration oder Aufregung entstanden ist. Der Mechanismus und die Abläufe im Gehirn sind dieselben.

Es spielt auch keine Rolle, ob der andere Hund (der Jogger, das Fahrrad, das Auto ...) eine tatsächliche Gefahr darstellen, oder ob sie - objektiv betrachtet - keine Gefahr und eher harmlos sind. Das einzige Wichtige und Wesentliche in so einem Fall ist, daß Ihr Hund einen Stresslevel erreicht hat, an dem er keinerlei Interesse für Nahrung oder Leckerchen haben wird.


Kann mein Hund in der Situation noch lernen?

Kurze Antwort: Nein, kann er nicht!

Da Ihr Hund in so einem Moment praktisch "ums Überleben kämpft", ist er nicht in der Lage irgendetwas zu lernen. Auch hier spielen die entsprechenden Prozesse und die Übernahme des Gehirns durch das Limbische System, eine Rolle. Im Limbischen System findet kein Lernen statt. Dies findet lediglich im Großhirn statt, welches aber für den Moment einer augenblicklichen Gefahr, nur noch auf "standby" läuft.

Ganz wichtig zu wissen ist auch: Es kommt einzig auf die Wahrnehmung Ihres Hundes an, ob er eine Situation als "gefährlich" oder gar "lebensbedrohlich" einschätzt, oder nicht. Wie Sie als Mensch dies sehen, und ob die Einschätzung Ihres Hundes - objektiv betrachtet - auch völlig falsch ist, ist absolut unerheblich.

Stellen Sie sich doch mal vor, sie würden allergisch auf Bienen- oder Wespenstiche reagieren. Und ganz plötzlich während sie gemütlich im Garten einen Pflaumenkuchen geniessen, und dabei ein Kreuzworträtsel lösen, werden Sie von einigen Wespen heimgesucht. Glauben Sie, Sie könnten noch eine weitere Reihe Ihres Kreuzworträtsels fertigstellen (auch wenn Ihnen die Antworten normalerweise recht leicht fallen)? Vermutlich nicht. Denn Sie wären in diesem Moment hauptsächlich auf die Wespen foccussiert, und würden vermutlich erstmal fluchtartig ins Haus rennen...

Und genau in so einer Situation, versuchen die meisten Menschen, ihre Hunde durch ein Leckerchen "abzulenken". Also in einem Moment, in dem es - wie Sie jetzt ja gelernt haben - viel zu spät ist, und der Hund nicht mehr an selbst den köstlichsten Leckerchen interessiert ist ... weil er jetzt gerade um sein nacktes Leben kämpft (zumindest ist das die Situation aus Sicht Ihres Hundes!).



Was ist die "Reizschwelle" von der viele Trainer erzählen?

Dieser Hund hat eine andere Reizschwelle

Vielleicht haben Sie schon positiv arbeitende Trainer gehört, die immer wieder davon reden, daß man den Hund unterhalb der Reizschwelle halten muß. Diese Reizschwelle ist genau jener Punkt der, wenn er überschritten wurde, nur noch die Entscheidung Kampf oder Flucht zuläßt.

Anders ausgedrückt: Die Reizschwelle markiert den Punkt, an dem Ihr Hund einen anderen Hund, der ich ihm nähert, schon wahrnimmt, aber NOCH NICHT darauf reagiert.. D.h. er ist in diesem Moment durchaus noch ansprechbar und kann auf die menschliche Ansprache entsprechend reagieren.

Wo diese Reizschwelle genau liegt (der Abstand definiert sich in Metern zum auslösenden Objekt), ist von Hund zu Hund individuell unterschiedlich. Sie hängt zum einen von der Nähe zum Auslöser ab, von der Intensität des Triggers und von der Dauer, die der Hund dem Auslöser bereits ausgesetzt ist.

Nur unterhalb der Reizschwelle findet lernen statt

Sehen Sie als Mensch z.B. eine Biene die auf einer Blume rumturnt, während sie ein paar Meter weiter weg sind, wird Sie diese Biene vermutlich in keinster Weise stören, auch wenn Sie allergisch auf Bienenstiche reagieren.

Auch wenn diese Biene im Wegfliegen kurz in Ihre Richtung kommt, und dann sofort umdreht und wegfliegt, können Sie vermutlich noch recht entspannt bleiben.

Bleibt die Biene aber für 30 Sekunden oder länger in Ihrer direkten Nähe und umschwirrt Sie, werden Sie vermutlich lieber aus dieser Situation herausgehen wollen.

Stellen Sie sich nun noch 100 Bienen vor, die Sie umfliegen ... dann werden Sie vermutlich fluchtartig die Lokalität verlassen und evtl. dabei auch wild um sich schlagen.

Sehen Sie, wie auch kleine Veränderungen der Situation einen großen Unterschied in Ihrem persönlichen Stresslevel ausmachen können?



Jeder Hund ist anders...

Auch wenn jeder Hund anders ist, haben sie alle einen Punkt in ihren Stressreaktionen, an dem sie sich noch auf das was ihr Mensch von Ihnen möchte konzentrieren können. Einen Punkt an dem sie noch reagieren können, und an dem sie auch noch ein Leckerchen nehmen können. Und ganz wichtig: Einen Punkt an dem Lernen noch stattfinden kann!

Um unserem Hund z.B. beizubringen, daß nicht jeder fremde Hund eine lebensbedrohende Gefahr ist, müssen wir diesen Punkt - die Reizschwelle - finden, und an dieser dann arbeiten. Wir halten dabei im Training den Hund immer unterhalb der Reizschwelle, während wir graduell die Entfernung zum Auslöser, die Intensität und die Dauer verändern, so daß der Hund lernen kann, das dieser Hund keine Gefahr darstellt.



Verhaltensmodifikation vs. Ablenkung

Verhaltensmodifikation gegen aggressives Verhalten, die mittels positiver Verstärkung durchgeführt wird, hat im übrigen NICHTS damit zu tun, den Hund mit Leckerchen "abzulenken"!

Vielmehr geht es bei der Verhaltensmodifikation darum, die negativen Verknüpfungen die Ihr Hund mit dem Auslöser in der Vergangenheit gemacht hat, zu lösen, und neue - positivere - Verknüpfungen mit dem Auslöser aufzubauen. Hierfür arbeiten wir im Training an der Entfernung, der Intensität und der Dauer in der der Hund den Auslöser wahrnimmt. In jedem Fall jedoch arbeitet man immer unterhalb der Reizschwelle und über positive Verstärkung mit Leckerchen.



Positive Verstärkung funktioniert...

Positive Verstärkung und Gegenkonditionierung, richtig angewendet, sind hervorragende Mittel zur Verhaltensmodifikation. Sie als Mensch müssen nur einige Änderungen zu Ihrem bisherigen Verhalten und in Ihrer Einschätzung von solchen Situationen machen, damit positive Verstärkung auch für Ihren Hund funktionieren kann.



2016, www.teckel-on-tour.de