In Gesprächen mit anderen Hundehaltern ist mir ein bestimmtes Muster aufgefallen:
Hundehalter: Mein Hund kommt nicht zu mir, wenn ich ihn rufe. Er stellt seine Ohren auf Durchzug - besonders wenn er mit anderen Hunden spielt
Ich: OK, das ist einfach zu beheben. Zuerst brauchen wir aber mal richtig tolle Leckerchen, wie z.B. Wiener Würstchen, frisches Fleisch, Leberwurst oder Käse...
Hundehalter: Aber ... ich will, daß mein Hund wegen MIR zurückkommt und nicht weil ich ihn mit Leckerchen besteche! Überhaupt ich will mich nicht von Leckerchen abhängig machen. Er soll auch zu mir kommen, wenn ich mal keine Leckerchen dabei habe...
"Bestechung" bedeutet, jemandem unter Anbieten einer Belohnung (Geld, Vorteile, Leckerchen) zur Durchführung einer bestimmten Handlung beeinflussen zu wollen. D.h. im Hundetraining halte ich meinem Hund das Leckerchen vor die Augen und sage z.B. "hiiiier" (und ziehe das Leckerchen dann zu mir hin).
"Belohnung" hingegen ist etwas, was ich jemandem (oder meinem Hund) gebe, nachdem er etwas gemacht hat, was mir gefällt, oder was ich von ihm wollte.
D.h. bei der Bestechung ist das Leckerchen im Spiel bevor der Hund etwas tut. Bei der Belohnung bekommt der Hund das Leckerchen nachdem er das Richtige getan hat. Sie merken (hoffentlich) den Unterschied?
Auch mir wurde vor vielen Jahren, als ich noch auf Hundeplätze ging, um zu lernen, wie man Hunde richtig erzieht, gesagt, daß ich um Himmels willen niemals Leckerchen zur Belohnung nehmen darf. Damit würde ich den Hund nur bestechen. Und überhaupt, wenn die Leckerchentüte leer ist, würde der Hund logischerweise auch nicht mehr kommen. Also sollte ich gar nicht erst anfangen, meinen Hund bestechen zu wollen.
Ist es nicht eher fast ein Verbrechen, wenn wir einen so machtvollen Motivator wie Futter im Training nicht nutzen, und ihn statt dessen den Hunden 2x am Tag umsonst geben?
Hunde müssen essen. Ansonsten würden sie verhungern. Daher ist Essen ein sehr starker Motivator für jedes Lebewesen!
Hunde essen gern, weil es ihnen gut schmeckt und gut tut. Nahrung aufnehmen verursacht angenehme Gefühle.
Der Rückruf ist für die meisten Hunde offenbar eine recht schwierige Übung - vor allem, wenn die Ablenkung hoch genug ist (z.B. mit Freunden spielen, buddeln, Eichhörnchen jagen ...).
Wie wir Menschen auch, treffen Hunde ständig Mikro-Entscheidungen. Sekundenschnelle Kosten-Nutzen-Analysen, bevor sie etwas tun.
Nachfolgend nenne ich Ihnen 3 mögliche Szenarien, die alle beinhalten, daß Sie Ihr Haus verlassen müssen:
Variante 1) Ihre beste Freundin / Ihr bester Freund lädt sie zu einer Pizza Party ein, und zwar an einem Tag, an dem Sie nichts Besonderes vorhaben. Eigentlich sogar ein Tag, an dem Sie sich vermutlich total langweilen würden...
Vermutlich lassen Sie alles stehen und liegen, und eilen zu Ihrer Freundin / Ihrem Freund.
Variante 2) Sie haben gerade liebe Freunde zum Grillen zu Besuch, als Ihre Tante Martha anruft, und sie bittet, dringend ihren verstopften Abfluss zu reinigen, weil sie schon Überschwemmung in der Wohnung hat...
Vermutlich stöhnen Sie innerlich auf, ärgern sich, versuchen Ausreden zu finden, und fahren dann sehr zögerlich letztlich doch hin. Und prompt kriegen Sie noch einen "Einlauf" weil Sie so spät kommen...
Variante 3) Ein bewaffneter Räuber bricht mitten in der Nacht in Ihr Haus ein.
Sie fliehen voller Panik
Sehen Sie schon, worauf ich hinaus will?
Kann es sein, daß Sie im Hundetraining auch die Tante Martha für Ihren Hund sind? Wenn wir mal ganz ehrlich zu uns sind, müssen wir wohl zugeben, daß wir in der Mehrzahl der Fälle für unseren Hund wohl doch das "Tante Martha Szenario" sind... Stimmts? Schauen wir mal:
Unser Hund hat gerade Spaß, z.B. mit seinen Freunden, oder er buddelt tolle Löcher, oder jagt Eichhörnchen. Er geht jedenfalls voll und ganz in seiner absoluten Lieblingsbeschäftigung auf ... als wir ihn plötzlich rufen! Unser Hund weiß nun aber schon aus (gemachter) Erfahrung was jetzt kommt: Wenn er kommt, gehts an die Leine und zurück nach Hause. Und dort ist es einfach laaaaaaaaangweilig!!! für ihn.
Also läßt er sich entsprechend Zeit beim kommen ...
Und wenn sich unser Hund dann endlich - nach dem gefühlten 20. mal rufen - doch überwindet, und endlich bei uns ankommt (nicht ohne vorher mindestens nochmal kurz zu pinkeln, oder an dem total spannenden Busch zu riechen, und ... und ... und ...), dann kriegt er jetzt evtl. auch noch Mecker, weil er wiedermal so ewig getrödelt hat...wobei wir Menschen seine Mega-Anstrengung sich überhaupt überwunden zu haben und überhaupt zu uns zu kommen, sehr gern komplett ignorieren.
Vielen Hundehaltern wird - leider auch heute noch - oftmals gesagt, daß sie ihren Hunden Ungehorsam nicht durchgehen lassen dürfen. Hunde müssen gehorchen - und wer nicht hören will, muß halt fühlen...
Und so gibt es auch heute noch eine wachsende Industrie die Sprühalsbänder, Teletakte und ähnliche "Motivationshilfen" für Hunde vertreibt.
Natürlich funktioniert Schmerz und Angst in der Erziehung (bei Menschen und Hunden), aber möchten Sie wirklich einen Hund haben, der ständig in der Angst lebt, wieder einen "gebritzelt" zu bekommen, wenn er nicht funktioniert?
Sie dürfen übrigens absolut sicher sein, daß Teletakt-Geräte Schmerzen verursachen. Nur deswegen gibt es sie schließlich überhaupt!
Oder glauben Sie wirklich, daß Sie einen jagdlich hoch passionierten Hund mit einem "ganz leichten Kribbeln" vom jagen abhalten könnten ... während dies mit einer hochwertigen Leckerchen- oder zum Problem passenden Umwelt-Belohnung "auf gar keinen Fall funktionieren kann"? Nicht wirklich, oder?
Training ist letztlich nichts anderes, als ein kontinuierliches Spiel für unsere Hunde. Wir bringen ihnen (aus ihrer Sicht) z.T. sogar "verrückte" Dinge bei (wie z.B. einen Rückruf mit starker Ablenkung, Sitz, Platz, ...).
Denken Sie jetzt bitte mal über dieses Spiel, über diesen einen Rückruf hinaus...
Es geht nicht nur um dieses EINE Verhalten, das Sie heute von ihm bekommen, sondern durch kontinuierliches Training etablieren Sie ein Muster. Ein Verhaltensmuster, daß über viele Jahre halten soll. Ein Muster, das der Hund lernen soll.
Kommen wir nochmal zu dem o.g. Gedankenspiel zurück:
Wer auf der Liste mit den 3 Personen ist DIE Person von der Sie hoffen, oft angerufen oder besucht zu werden? Für wen von den 3 Personen würden Sie sofort alles stehen und liegen lassen, wenn Sie von ihr hören? Auch mitten in der Nacht? Und auch wenn sie Sie um einen langweiligen, uncoolen Gefallen bitten würde?
Möchten Sie "Tante Martha" für Ihren Hund sein, oder der bewaffnete Räuber ... oder lieber diese ultra-tolle Person, die diese scheinbar magnetische Anziehungskraft auf Ihren Hund hat?
Es ist relativ einfach, seinen Hund zu lehren, wie eine Rakete zurück zu kommen, wenn er gerufen wird. Man muß lediglich diese völlig abgefahrene, aber wirksame, Technik einer "Pizza Party" nutzen, und zwar jedes Mal bei einem geglückten Rückruf. Und wenn man das so macht, lernt der Hund bei jedem Mal, daß es außerordentlich lohnenswert ist, zu uns zurückzukommen - und zwar im Tiefflug.
Die Belohnung sollte quasi "epische Dimensionen" haben, also wirklich richtig toll sein. Denn genau dies wird sein Ziel letztlich nicht verfehlen...
... auch wenn wir mal wirklich keine Belohnung dabei haben sollten. Wir haben vorher in vielen kleinen Schritten schon die Weichen dafür gestellt, daß der Hund bei seiner Kosten-Nutzen-Analyse in die richtige Richtung denkt - nämlich in unsere!
Sie können Ihren Hund auch durch schimpfen oder indem Sie ihm Angst (durch Schmerzen) einjagen dazu bringen, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen ...
... oder Sie können Ihn auch einfach für das richtige Verhalten hochwertig belohnen! Dazu müssen Sie nur Ihre eigene Aversion, Leckerchen im Training einzusetzen, beiseite schieben ... aber mit dieser Methode können Sie sich letztlich unzweifelhaft zum Mittelpunkt der Welt für Ihren Hund machen.
Unsere Dackel - denen man ja gern nachsagt, daß sie praktisch unerziehbar und einfach nur stur sind - jedenfalls kommen gern, SEHR gern sogar, jederzeit und im Tiefflug zu uns zurück, wenn wir Sie rufen.
Warum?
Weil es sich für sie lohnt - aber SOWAS von...!